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Rabe Jakob:


Der Rabe Jakob ist eine Rabenkrähe und lebt seit fünf Jahren in meiner Obhut. Aber zunächst ein paar grundsätzliche Dinge über Raben.
Der bei uns (nördlicher Schwarzwald) lebende Rabe hat die genaue Bezeichnung Rabenkrähe. Sie wird oft mit der Saatkrähe verwechselt. Beide sind gleich groß und schwarz. Lediglich bei genauer Betrachtung sieht man den Unterschied. Die Rabenkrähe hat einen kräftigen schwarzen Schnabel, die Saatkrähe dagegen einen schmäleren, grauen Schnabel mit einem Wulst am Schnabelansatz.

RabenkräheRabenkrähe

Aber auch das Fress- und Gesellschafts-Verhalten unterscheidet beide wesentlich. Die Saatkrähe tritt in Schwärmen auf, zieht umher und frißt auch Saat, also Körner.
Die Rabenkrähe ist ein Aasfresser mit allerlei zusätzlichem Verzehr, aber keine Körner. Sie tritt nur als Jungvogel in einer Herde auf, dabei mischt sie sich oft unter Saatkrähen.
Ansonsten bilden die Rabenkrähen Paare, sind sich ein Leben lang treu und behalten immer das gleiche Revier. Es gibt lediglich im Laufe der Jahre Verschiebungen der Reviergrenzen, meist beim "Brutplatzgerangel" im Frühjahr.

Das Gebiet, das ich täglich beim Spazierengehen durchstreife beherbergt in all den Jahren immer zwischen fünf und sieben Paare. Ich kenne jeden einzelnen und habe viele kommen und gehen sehen. Aber es war immer so: blieb ein einzelner weg -was ihm auch immer zugestoßen sei- war der Partner spätestens nach fünf Tagen auch verschwunden. Er ward nie mehr gesehen! Ich weiß bis heute nicht, was mit denen geschieht. Sterben sie aus Gram? Oder gehen sie einfach weg? Aber wohin? Es gibt keinen Platz (Revier) für einen einzelnen Raben. Kann sein, daß sie sich wieder unter die Jungvögel mischen.
Da ich wie schon erwähnt, jeden einzelnen kenne, sind wir uns über die Jahre sehr vertraut geworden. Dies soll heißen, daß sich bei meinem Rundgang ständig welche nähern. Im Extremfall ist es eine "SIE", das Hühnchen, welches sich bis auf einen Kopf- zu Kopf-Abstand von 1,2 Meter heran wagt ! Wohlgemerkt, es sind wilde Raben und zwar auf dem Lande. Im Gegensatz zu manchen "Stadtraben" die oft sonderbares Nahverhalten zeigen, kann man sich in freier Natur kaum weniger als auf 30 Meter nähern.
Besagtes Hühnchen -so nenne ich es- ist jetzt 11 Jahre alt und ich kenne es seit es aus dem Nest kam. Es mußte zwar wie jeder andere auch, vorübergehend ins "Rabenexil", kam aber nach erfolgter Geschlechtsreife wieder zurück. Zusammen mit einem mitgebrachten Partner erkämpfte es sich ein Revier.
Da ich grundsätzlich immer mit den Raben rede und im Winter auch mal was für sie dabei habe, kommt man sich im Laufe der Jahre näher. Aber es sind auch welche dabei, bei denen eine Distanz von 10 oder 20 Meter bleibt. Je nach Veranlagung und Dauer des Kennens. Wie ich schon unter Allgemein erwähnte, habe ich in den letzten Jahren fast immer meinen Jakob dabei. Man könnte meinen, daß die Zutraulichkeit der wilden Raben daher kommt. Dem ist nicht so, bereits früher kam z.B. das Hühnchen genauso nahe ran.

Rabenkrähe

Natürlich ergeben sich zusammen mit Jakob neue Anknüpfungspunkte. Wenn ich im Gras sitze und Jakob auf meinem aufgestellten Knie, sage ich häufig "feste schütteln" damit er sich dabei lockert. Nun musste ich feststellen, daß ein "Kollege" der sich meistens im Abstand von 3-5 Metern aufhält und gelangweilt in die Welt schaut, sich ebenfalls mitschüttelt. Soweit so gut, ein Herdeneffekt. Jetzt habe ich aber das Ganze ohne Jakob probiert und es klappte! Auch mehrfach, es war kein Zufall. Ebenfalls musste ich feststellen, daß immer wieder mal einer vor oder hinter uns marschiert, genauso wie Jakob. Der ist ja "Fußgänger". Auch wieder ein typisches Verhalten von Raben: einfach mal mitmachen, auch wenn man keinen unmittelbaren Nutzen davon hat. Zumindest bezogen auf etwas freßbares oder dergleichen. Dieses "Mitgeh-Verhalten" konnte ich zu Zeiten ohne Jakob nicht feststellen.

Aber nun zu den Freßgewohnheiten der Rabenkrähe. Sie ernähren sich vorwiegend von Aas und Insekten. Im Herbst sind Walnüsse eine bevorzugte Ergänzung. In der heutigen Zeit werden auch immer bevorzugter die in den Gärten lagernden Abfälle zur Ernährung herangezogen. Da wären Eier-Reste, Fleisch-Reste, (Eier)-Teigwaren, Brot und dergleichen. Frisches Fleisch wird nur bei starkem Hunger gleich verzehrt. Meist wird Dieses mitgenommen, versteckt, und nach Tagen wenn es mürbe ist, verzehrt.
Der Rabe ist überaus vorsichtig und ängstlich, wenn er etwas ungewöhnliches vorfindet. Bei einem Kadaver z.B. kann ein stundenlanger "Annäherungs-Tanz" der eigentlichen Nahrungsversorgung voran gehen. Er beginnt dann grundsätzlich zuerst mit dem "Augenaushacken". Dieses Verhalten hat seinem Ruf schon öfter irrtümlich schweren Schaden zugefügt. Aber das mit den Augen hat schon seine Bewandnis, Ursache ist der listige Fuchs. In schlechten Zeiten versucht Dieser sich durch "totstellen" Raben anzulocken, um sie dann zu erhaschen. Der Rabe entgegnet dieser Gefahr indem er sich durch dieses "in die Augen picken" vergewissert, ob das Tier wirklich tot ist. Das wiederum hat zur Folge, daß sich der Fuchs angewöhnt hat, sich bei dieser List mit den Pfoten die Augen zu verdecken. Solche Aufnahmen sind gelegentlich schon zu sehen gewesen.

Ich habe bei all meinen Beobachtungen nie erlebt, daß eine Rabenkrähe aus Hunger oder Mordlust ein Säugetier oder einen Vogel getötet hat. Sowohl Eichelhäher wie auch Elster ertappte ich beim Nestplündern, aber noch nie einen Raben. Einmal fand ich in der Nähe eines Rabennestes eine junge, tote Eule. Es war offensichtlich, daß sie vom Raben getötet wurde. Da die Eule die entsprechenden Schnabelmerkmale eines Greifvogels hat, der Rabe seine junge Brut in der Nähe, wurde diese "Tat" rein zum Schutze der Nachkommenschaft vollzogen. Normalerweise wird so ein Eindringling durch drohen und abdrängen verscheucht, aber anscheinend konnte die junge Eule noch nicht richtig fliegen oder sie verstand den Ernst des Lebens noch nicht. Der Rabe hat mir durch sein Verhalten den bereits toten Vogel gezeigt, hat aber nie einen Bissen davon genommen.
Den immerwährend in der Presse herumgeisternden Nachrichten von Lämmern, die von Raben durch Augenaushacken getötet werden, muß ich an dieser Stelle aufs schärfste widersprechen. Ich kann mich zwar nicht für den Kolkraben (dem größeren Bruder) verbürgen, aber das, was ich selbst bei Schafherden sah, läßt nach der Wahrscheinlichkeit andere Schlüsse zu. Da werden die Schafe bei eisigem Schneetreiben völlig ungeschützt ins Freie gepfercht. Ich sah selbst mal kurz vor Weihnachten nach einem starken nächtlichem Schneetreiben, ein neugeborenes Lamm tot neben dem Mutterschaf liegen. Es war schon gegen Mittag, das Mutterschaf lebte anscheinend noch, war aber sichtlich "angeschlagen" und konnte sich nicht um das Neugeborene kümmern. Wo war der Schäfer? Der lag sicherlich im warmen Bett und hat seinen Rausch ausgeschlafen. Und wenn er dann kommt und sieht, daß die Raben die Augen des Lamms aushacken, dann sind das die Übeltäter, er bekommt ersatzweise Geld und jeder glaubts. Besonders für Schreiberlinge ein gefundenes Fressen. In meinem Fall waren zwar noch keine Raben da, aber als "Natur-Polizei" ist es ihre verdammte Pflicht und auch ihr Recht, solche Kadaver zu beseitigen.
Natürlich will ich nicht alle Schäfer über einen Kamm scheren. Ich sah auch "Anständige" die bei ihrer Herde blieben und die auch Schafe ins Warme brachten wenn der Zeitpunkt bevor stand. Ebenso wird es auch in der Rabenwelt Ausreißer von der Norm geben, wie bei jedem anderen Lebewesen auch. Es mögen sich auch in anderen Gebieten andere Verhaltensformen gebildet haben, aber daß es zu so krassen Unterschieden kommt, ist für mich schlichtweg unvorstellbar. Eine Begebenheit die zeigt, wie es zu solchen Falschaussagen bezüglich "Raben töten Tiere" kommt, beschreibe ich im
Anhang.
Noch ein kurzes Beispiel für die Vorgehensweise der Rabenkrähe: Ich brachte ihnen einmal einen abgekochten, fast entfleischten Hasenkopf ohne Augen mit. Obwohl sie sahen, daß das "ETWAS" von mir kam, waren sie überaus vorsichtig. Es dauerte geraume Zeit bis sie sich soweit heran wagten, das sie zupickten. Natürlich zuerst in die Augenhöhle. Damals waren auch einige, erst ein paar Monate alte Jungvögel mit in der Familienrunde. Auch sie pickten bereits in die Augenhöhlen, es ist ihnen angeboren.