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Rabenvater? Rabeneltern?

Es gibt schon unsinnige Schlag- und Sprich-Wörter auf dieser Welt. Und diese mit den Rabeneltern gehören dazu. Ich habe zwar keine Nachforschungen über deren Entstehung und Hintergrund angestellt, aber es kann sich nichts sinnvolles dahinter verbergen. Jedenfalls ist die umsichtige und aufopfernde Brutpflege der Rabenkrähe beispielhaft im positiven Sinne. Die Jungen werden mindestens ein halbes, manchmal bis zu fast einem Jahr lang, liebevoll umsorgt.
Eine kleine Begebenheit die ich gerade erst in diesem Frühjahr erlebte:
Bei einem Raben-Männchen musste ich sehen, daß er ein verletztes Bein hatte. Es hing schlaff herunter und wenn es nur leicht den Boden berührte zuckte der Rabe zusammen. Er hatte dabei anscheinend starke Schmerzen. Ich erkannte seinen Zustand weil er auf dem Ast lag, auf dem er sich gerade befand. Ansonsten sitzt ein Rabe aufrecht auf einem Ast. In so einem Zustand ist die Nahrungssuche äußerst erschwert. Er muß ja dabei Wiesen und Äcker durchstreifen um etwas fressbares aufzustöbern. Noch dazu hatte er eine ganz junge Brut. Aber die wurde anscheinend einigermaßen vom Weibchen alleine versorgt. Aufgrund seines Zustandes entschloß ich mich, ihm etwas Futter mitzubringen. Total ausgehungert kam er daher. Mußte sich aber mit einem Flügel abstützen, damit er nicht umfiel. Kaum hatte er ein paar wenige Bissen verschlungen startete er mit einem Schnabel voll Futter hoch zu seinem Nest und fütterte seine Jungen. Eine typische Handlung eines Rabenvaters !
Mit ziemlicher Sicherheit hatte auch seine Verletzung mit der Ausübung der Brutpflege zu tun. Wahrscheinlich geschah es im Kampf mit einem Baummarder.
Leider halfen alle Bemühungen nichts, die Brut verschwand kurze Zeit später doch noch. Und das Bein des Rabenvaters hat sich bis jetzt, über zwei Monate später, kaum gebessert. Ich versorge ihn immer noch mit etwas Futter, weiß aber nicht, wie das mit ihm enden wird. Es ist zufällig Jakob`s Vater !

Aber nun weiter mit Jakob: Obwohl er sehr zahm ist und sich an die Menschen gewöhnt hat, hat er sich tief im Inneren eine gewisse Wildheit bewahrt. Es gibt Situationen bei denen er dies recht deutlich zeigt. Wenn ich z. B. nicht aufpasse und er in einem Baum immer höher steigt, macht er keinerlei Anstalten wieder herunter zu kommen. In ihm schnappt förmlich etwas in einen anderen Zustand um. Kein noch so gutes Zureden hilft dann, ihn zum herunterkommen zu bewegen. Jakob empfindet dabei anscheinend eine völlige Eigenständigkeit, ganz ohne fremde Zwänge, die er Wohl oder Übel in meiner Nähe hat. Und diese Empfindung weiß er zu nützen, es sei ihm auch gegönnt.
Da Jakob eine Riesenangst vor langen Stangen hat, komme ich mit derer Hilfe wieder an ihn ran. Wenn er nur ganz entfernt jemanden mit einer Stange sieht (das kann auch ich sein), startet er los und landet wieder auf dem Boden.
Nur einmal klappte das nicht. Es war bei einem starken Schneetreiben. Wir gingen an einem Waldrand welcher am Hang liegt, entlang. Durch Schnee und starkem Aufwind irritiert, hob Jakob von meinem Arm ab und landete hoch oben im Baum. Er saß so hoch oben, daß eine lange Stange von dort so lächerlich klein aussah, daß sie ihn nicht zum wegfliegen veranlassen konnte. Dies geschah in der Mittagszeit, aber es war recht kalt. Ich musste meine Frau zu Hilfe rufen. Die Tatsache, daß ich Funkamateur bin, kommt mir in so einem Fall zugute. Daheim läuft immer ein Empfänger mit und ich trage eine kleine Handfunke bei mir.
An diesem Tage war Jakob durch nichts zu bewegen, wieder vom Baum zu kommen. Weder der eilends herbei gebrachte Käfig, Fressen, noch Versprechen jeglicher Art, zeigten Erfolg. Es blieb uns nichts anderes übrig als auszuharren und ihn im Auge zu behalten. Bis in die Nacht hinein -nun mit Hilfe einer Taschenlampe- ging das so weiter. Falls er nämlich weggestartet und am Boden gelandet wäre, hätte es an uns gelegen ihn "einzusammeln". Von alleine hätte er in dem Schnee nicht mehr zu uns gefunden, selbst wenn er gewollt hätte. Irgendwann gingen meine Frau und ich dann nach Hause. Es war eine schreckliche Nacht für uns. Allein der Gedanke, Jakob nun mutterseelenallein bei eisigem Schneetreiben im Wald !
Am nächsten Tag, noch vor dem Morgengrauen, fanden wir uns an der Stelle wo Jakob am Abend zuvor saß, wieder ein. Für mich war es wie ein kleines Wunder: Er befand sich noch an gleicher Stelle, war etwas eingeschneit, aber lebte noch. Jakob nahm uns aber immer noch nicht zur Kenntnis. Keine Freude, nichts. Also war sein "Schalter" immer noch in der gleichen Stellung. Die Bedenken die ich noch am Vorabend hegte -falls er losfliegt und doch wieder auf dem nächsten Baum landet- wichen allmählich einer neuen Erkenntnis. Durch die Kälte hat Jokob so klamme Füße, daß er sich sicher nicht mehr festhalten kann. Wo er sowieso kaum Kraft in den Füßen hat. Und so kam es auch. Ein erneutes "Spektakel" mit Klopfen, Geschrei und einer Stange veranlaßte ihn loszustarten. Wie schon vermutet, wollte er wieder auf einem Baum landen, stürzte aber bei dem Versuch sich festzuhalten, ab. Da sich dort der Hang befand, konnte er trotz seinen schlechten Flugvoraussetzungen, abwärts recht weit fliegen. Ich konnte es in der Ferne gerade noch erkennen, wo er zu Boden ging. Es bedurfte dann einer langen, gemeinsamen Suche, bis er gefunden wurde. Er hatte sich in einer Grashöhle verkrochen. Leider gibt Jakob in so einem Fall keinerlei Laut von sich, er macht es uns nicht einfach!
Als wir ihn wieder hatten verhielt sich Jakob ganz normal, so wie wenn gar nichts gewesen wäre. Nun werde einer daraus schlau. Gesundheitliche Nachwirkungen der kalten Nacht gab es bei ihm zum Glück auch nicht.

Jakob mit Gefieder-Pflege an einer Bank

Jakob mit Gefieder-Pflege bei einem Zwischenstop an einer Bank
(und wieder liegt das Stöckchen unter seinen Füßen)

Erst kürzlich wieder zeigte uns Jakob ein weiteres mal sein "wildes Herz". Diesmal tauchte er in ein großes Rapsfeld ein und wollte partout nicht mehr heraus kommen. Die Rapspflanzen waren in einem Stadium, daß sie da standen wie kleine Bäume, sehr eng aneinander. Mit gerade soviel Zwischenraum daß Jakob gut zwischendurch konnte, für mich ein fast unüberwindbares Hindernis. Da war Jakob wieder in seinem Element. Nun war er wieder er selbst und hat mir das reichlich zu spüren gegeben. Es half kein Rufen und kein "gut zureden", er kam nicht heraus. Mit Hilfe meiner Frau wurden die Ackergrenzen bewacht, falls er doch mal "überwechseln" sollte. Wie zu erwarten, tat sich stundenlang nichts. Meine Frau kam dann auf den glorreichen Gedanken, es mal mit "Ameisen-Wasser" zu versuchen. Wir gingen zu der Stelle am Acker, wo ich Jakob am ehesten vermutete. Dort wurde ihm dann "Ameisen-Wasser" versprochen. Er durfte auch die Zischgeräusche der zuvor geschüttelten Flasche hören. Diesem Reiz konnte er nicht widerstehen. Nach einer Weile tauchte er am Rand auf und wir hatten ihn wieder. Das versprochene "Ameisen-Wasser-Bad" stand dann natürlich sofort für ihn zu Hause bereit. Ja, was macht man nicht alles für so ein Tierchen.

Zuhause ist Jakob auch nicht ganz unproblematisch. Zum spielen hat er allerhand Schachteln in die er was verstecken und Löcher rein klopfen kann. Er bekommt sogar in unregelmäßigen Abständen schöne, große, glänzende Schrauben von meiner Frau geschenkt. Die werden auch versteckt. Ansonsten werden Zeitungen in Streifen und Stücke zerrißen. Aber auch die Tapeten! Wir haben es längst aufgegeben, ordentlich zu tapezieren. Es hätte keinen Sinn, dieses nur für ein paar wenige Tage zu tun. Länger halten bei uns die Tapeten nicht. Jakob findet es ganz normal, die Tapeten von der Wand zu reißen. Zumindest tut er so. Also wird bei uns nur noch "untenherum" tapeziert. Er kann es dann kaum erwarten bis die Tapeten trocken sind. Erst dann werden sie wieder abgezupft, es muss ja schließlich auch "ratsch" machen, sonst macht`s ja keinen Spaß. Ich glaube, er meint sogar, daß wir dies alles tun, damit er anschliesend seinen Spaß hat. Aber diese Unart ist Jakob nicht abzugewöhnen. Was soll man machen? Ihn einsperren? Nein. Ihn Ausschließen? Nein. Gut zureden oder schimpfen hilft in diesem Fall auch nichts. Also müssen wir damit leben. Ein Gedanke, ihn abzugeben, ist bei uns nicht drin.

Jakob in Kampf-Position

Jakob in Kampf-Position
(und wieder hat er sich das Stöckchen unter die Füße gelegt)

Wie auf dem oberen Bild zu sehen, werden auch Scheinkämpfe mit Jakob durchgeführt. Auch das hat er zum abreagieren nötig und macht aus ihm einen "richtigen" Raben.

Ich komme nun allmählich zum Schluß. Jedenfalls habe ich im letzten Abschnitt klar gemacht, daß nicht alles eitel Sonnenschein ist, so einen Raben einiger- maßen "rabengerecht" über die Runden zu bringen. Ich bereue zwar nichts, was ich mir -und meiner Frau- mit Jakob "aufgehalst" habe. Will aber damit auch zum Ausdruck bringen, daß es wohl überlegt sein muss, ähnliches nachzuvollziehen.

Ich schrieb diese Zeilen aus mehrerlei Gründen. Zum einen möchte ich um mehr Verständnis für den Raben werben. Zum anderen bin ich mir darüber im Klaren, daß Jakob jederzeit etwas zustoßen kann. Der dann bei mir aufkommende Schmerz über seinen Verlust würde sicher rückblickend die Erinnerung trüben und verzerren. So aber habe auch ich es für mich schwarz auf weiß und werde sicher davon öfter Gebrauch machen.
Außerdem wollte ich, der heutigen Zeit entsprechend, diese Zeilen via Internet einer breiteren, hoffentlich interessierten Gruppe zugänglich machen. Sollte der Eine oder Andere eine Kleinigkeit "mitnehmen" können, hat es auch da seinen Zweck erfüllt.

Copyright by Franz Macho
Stand: Juli 2001.

Nachtrag:

Am 4.juli.2006 mußte Jakob leider eingeschläfert werden !
Innerhalb kurzer Zeit verschlechterte sich sein Befinden.
Über Jahre hinweg war lediglich die Flugunfähigkeit sein einziges Handicap.
Es kam dann aber ein Zeitpunkt wo er nicht mehr laufen wollte/konnte.
Ich trug in dann bei den täglichen Spaziergängen auf dem Arm herum und setzte ihn ab und zu auf dem Boden ab. Eine weitere Verschlechterung trat ein, als er sich nicht mehr auf der Sitzstange halten konnte und auf dem Käfigboden herum saß. Bald aber konnte er dort nicht mehr aufrecht sitzen/stehen,
er fiel zur Seite um !
Nun aber war es allerhöchste Zeit, wieder den Tierarzt aufzusuchen. Sein Urteil war verheerend: Jakob hätte keine Chance wieder gesund zu werden und hätte außerdem sehr starke Schmerzen.
Er wurde erlöst !
Über 10 Jahre hinweg war er mein Freund und Begleiter, auch bei meinen täglichen Spaziergängen. Ich werde ihn NIE vergessen !

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Anhang:

Ein "Augenzeuge"

Bei einem meiner Streifzüge fiel mir ein Rabenpaar mit recht merkwürdigem Verhalten auf. Es war sehr unruhig und schaute immer in eine bestimmte Richtung. Ich ging der Sache nach und fand etwa 80 Meter entfernt ein totes Rehkitz. Es lag am Rande eines kurz vorher geernteten Feldes und hatte Verletzungen an Brust und Beinen. Die frischen Wunden wiesen glatte Schnitte auf, typisch für Verletzungen durch Erntemachinen. Weit und breit war kein Mensch mehr zu sehen. Das tote Kitz wurde anscheinend vom Bauern achtlos zur Seite geworfen. Wieder einmal sah ich, wie überaus langsam und vorsichtig sich Raben einem Kadaver nähern. Ich konnte nicht so lange warten bis sie sich "überwinden" konnten und ging weiter meines Weges. Wie schon so manchmal bei ähnlichen Fällen dachte ich bei mir: wenn die Raben später am "Tatort" von jemanden gesehen werden, sind sie wieder einmal die Bösewichte. Zum Glück bewahr- heiteten sich bis dahin meine Befürchtungen nicht, es kam mir zumindest niemals was zu Ohren. Aber diesmal sollte es anders kommen.
Einige Tage später, ich hatte wie üblich meinen Jakob auf dem Arm, begegnete mir ein Einheimischer. Seine nicht gerade freundlichen Worte waren: "Ah, das ist ja so ein Mördervogel". Ich fragte ihn was das soll und er antwortete: "Ja, die machen doch Tiere tot, ich selbst habs vor kurzem erst gesehen". Bei der Frage, was er denn gesehen hätte, sagte dieser: "Da drüben", er zeigte in Richtung des toten Kitzes, "habe ich gesehen wie diese Krabbe ein kleines Reh kaputt gemacht haben". Nach weiterem Nachfragen hieß es: "Die haben ihm in die Augen gehackt, da geht doch jedes Viech kaputt". Ob er denn gesehen hätte, daß es vorher noch lebte, fragte ich. Es kam ein zögerliches: "Ja, ja". Ich war mit dieser Antwort keineswegs zufrieden und bohrte weiter. Dann hieß es: "Naja, springen hab ich`s nicht gesehen, aber daß es vorher g`lebt hat ist doch logisch".
Es war ihm gar nicht recht, daß ich ihm sagen konnte, wie es wirklich war. Schließlich kann er dann nicht mehr bei Freunden und am Stammtisch damit prahlen, was er doch alles weiß und gesehen hat.
Aber so kommt es oft zu solchen Meinungen und "Berichten".

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