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Aber nun zum Brut- und Aufzuchts-Verhalten der Rabenkrähe.

Aufgrund der inzwischen zustande gekommenen Vertrautheit mit den einzelnen Rabenpaaren habe ich guten Einblick über deren Nestbau und Aufzucht der Jungvögel. Ich will damit sagen, daß sie bei mir kein so großes Geheimnis über den Standort ihres Nestes machen wie allgemein üblich. Dadurch ist es mir möglich, ihr "tun" über die einzelnen Phasen gut zu verfolgen.
Rabennest

Mit dem Nestbau wird im März begonnen. Die Nester befinden sich in unserer Gegend grundsätzlich im Wald, ganz nahe am Waldrand. Es werden hohe Bäume gewählt wie Fichten, Tannen und Kiefern. Während das Weibchen die Eier legt und zu brüten beginnt, wird es vom Männchen mit Futter versorgt. In unserer Gegend erfolgt nur eine Aufzucht pro Jahr. Ende April schlüpfen die Jungen und verlassen Anfang Juni das Nest. Natürlich gibt es immer wieder Verschiebungen bei den genannten Zeiten. Hier spielt besonders das Wetter eine Rolle. Allerdings kommt es auch vor, daß durch einen Räuber die Eier oder auch die junge Brut frühzeitig abhanden kommt. Dann beginnt der Rabe meist zum zweiten Mal im Jahr Eier zu legen. Bei uns trit in den letzten Jahren vermehrt der Baum- oder Edel-Marder als Nesträuber auf.

Obwohl er ein nachtaktives Tier ist, hat er sich anscheinend so vermehrt, daß er schon bei Tage meinen Weg kreuzte.

Die Jungvögel werden von beiden Elternpaaren gefüttert, auch noch Monate nach verlassen des Nestes. Meistens gehen die Jungen im Herbst ihre eigenen Wege. Sie verlassen das Revier ihrer Eltern und sammeln sich in Gebieten, die schon Jahrzente wenn nicht gar Jahrhunderte diesem Zwecke dient. Dort verweilen sie solange bis sie geschlechtsreif sind und sich mit einem Partner zusammentun. Wie ich schon erwähnte, sind dies die einzigen Zeiten, wo die Rabenkrähe in Scharen auftritt. Ich nenne diesen vorübergenden Zustand spaßeshalber "Raben-Exil". Es ist schon erstaunlich, daß sich diese Jungvögel über lange Zeiträume hinweg immer an den gleichen Stellen sammeln. Den Grund hierfür kenne ich nicht. Ganz in meiner Nähe, bei der Ortschaft Langenalb, ist so eine "Sammel-Stelle". Wie man mir berichtete, wurde dieser Ort von Einheimischen schon im neunzehnten Jahrhundert verächtlich auch als "Krabbe-Alb" bezeichnet. Hier in der Gegend sind Saatkrähen und Rabenkrähen immer "Krabbe". Dies kommt wohl durch den Zusammenzug der Worte Krähe und Rabe zustande, da die beiden Vogelarten von der hießigen Bevölkerung nicht unterschieden wird. Zum erwachsen werden der Raben ist noch anzumerken, daß es vereinzelt vorkommt, daß dies einer gar nicht will. Also erwachsen werden und seine eigenen Wege gehen. Er wird dann im nächsten Frühjahr vor Beginn der neuen Brutvorbereitungen vom Elternpaar gewaltsam vertrieben.

So, nach diesen Ausführungen über die Rabenkrähe im allgemeinen -was auch dazu dienen sollte, daß sich das Nachfolgende besser einordnen läßt- kommen ich zum eigentlichen Thema: Rabe Jakob.
Bei meinen täglichen Spaziergängen schaue ich immer gespannt, wann sich die ersten jungen Raben am Nestrand zeigen und wann sie das Nest verlassen. Es interessiert mich auch, wieviele es sind. Es können bis zu sechs Jungvögel sein. Im Frühjahr 1996 sah ich bei einem Nest, daß die Jungen es verlassen hatten und munter oben im Geäst herum flogen. Nur einer saß auf dem Waldboden. Ich schaute nach, ob er verletzt ist, oder sich nur zufällig dort aufhielt. Er hatte die übliche Größe, also fast so groß wie die Elterntiere und voll ausgebildetes Gefieder. Bei Annäherung flog er nicht weg, auch zeigte er keine große Fluchtreaktion. Bald stellte ich fest, daß er noch nicht fliegen konnte. Wenn ich ihn hochsetzte und er losstartete, ging es immer nur abwärts. Es ist total unüblich, daß ein Rabe in der Größe und solchem Gefieder nicht fliegen kann, wenn keine Verletzung vorliegt. Sollte er es wirklich erst lernen müssen? Normalerweise wird noch im Nest durch Flügelschlagen die Muskulatur gestärkt und beim Verlassen kann das Junge bereits fliegen. Da ich nicht weit vom Wald entfernt wohne, sah ich mehrmals am Tag nach dem jungen Raben, fand ihn meistens im Gestrüpp und setzte ihn hoch in den Baum. Das Gleiche tat ich noch bei beginnender Dunkelheit, alles, damit er in der Nacht vor dem Fuchs sicher war. Dieses Spiel ging über Tage so weiter. Zwischendurch schaute ich nach seinen Fortschritten indem ich ihn seitlich am Wald an einer abschüssigen Wiese versuchsfliegen ließ. Aber es ging immer abwärts, der Gleitwinkel war sehr schlecht. Durch all diese Tätigkeiten freundeten wir beide uns an. Als ich -sehr frühzeitig- den Kleinen auf die Hand des ausgestreckten Armes setzte, trippelte er sofort zum Körper und zupfte an meiner Brille. Ebenso freute er sich schon nach wenigen Tagen, wenn er mich kommen sah. Man erkennt dies am schütteln des Federkleides, dadurch entspannt er sich. Ich ging dann meistens mit ihm im Wald eine kleine Runde spazieren. Er saß mir dabei auf dem Arm. Danach setze ich ihn am angestammten Platz ab und ging nach Hause. Vom Elternpaar wurde er regelmäßig gefüttert, vom nächtlichen "zusammensitzen", hoch oben in den Bäumen, war er allerdings ausgeschlossen.
Wobei ich bei einem leidigen Thema der Geschichte bin. Ein Rabe, und sei er noch so jung, hat bei beginnender Dunkelheit den Drang so weit es geht nach oben zu steigen um dort die Nacht zu verbringen. Nur dort fühlt er sich sicher. Außerdem wird durch Zusammenrücken zumindest der Jungvögel, ein Gefühl der Sicherheit gegeben. Auf all das mußte Jakob -so habe ich ihn genannt- verzichten. Zusammen mit der Tatsache, daß ihm instinktiv bewußt wurde, daß er sich einer Gefahr nicht durch Wegfliegen entziehen kann, hat bei ihm eine bleibende, übergroße Ängstlichkeit verursacht !
Nach etwa zehn Tagen entschloss ich mich, Jakob für ein paar Tage, höchstens aber ein paar Wochen mit nach Hause zu nehmen. Die Vorstellung, am nächsten Tag nur noch seine Federn vorzufinden, löste bei mir diese Entscheidung aus. Er sollte in aller Ruhe flugfähig werden. Zu Hause hatte ich noch einen relativ großen Käfig, der sollte sein Heim werden. Ich war mir recht sicher, daß es kein großes Problem geben würde, ihn an diese Umgebung zu gewöhnen. So wie ich ihn bis dahin erlebte, dauernd im Gestrüpp nach Schutz suchend, hätte er bei sovielen Gitterstäben gerade das Richtige. Gedacht getan, ich nahm in also mit nach Hause. Was dann aber geschah überraschte mich doch: Jakob sah den Käfig und das offene Türchen, verschwand sofort darin und wollte nicht mehr raus! Wenn ich´s nicht selbst erlebt hätte, ich würde es keinem glauben. Kommt ein wilder Vogel daher, sieht einen Käfig und setzt sich freiwillig rein. Aber wie gesagt, der Drang nach Sicherheit verursachte anscheinend dieses Verhalten. Nach dem Motto: wenn ich schon nicht weg kann, dann soll zumindest auch keiner an mich ran.

Jakob unmittelbar nach Ankunft bei uns zuhause

Jakob unmittelbar nach Ankunft bei uns zuhause. Man achte auf die gespreizten Zehen, ich komme später darauf zu sprechen.

Die nächsten zwei Bilder zeigen Jakob ebenfalls kurz nach dem Einzug. Man sieht deutlich die rötlichen Baby-Ecken am Schnabel. Ebenfalls gut erkennbar, die Nickhaut am Auge. Sie dient als Augenschutz, da sie sehr schnell reagiert. Bekanntlich ist ein Fotoblitz sehr kurz. Trotzdem zieht sich die Haut in dieser kurzen Zeit fast vollständig übers Auge. Beim nächsten Bild wurde durch Verwendung des Vorblitzes diese Augen-Reaktion überlistet.

Aufnahme ohne Vorblitz, man sieht die Nickhaut

Aufnahme ohne Vorblitz, man sieht die Nickhaut


Aufnahme mit Vorblitz

Aufnahme mit Vorblitz

Ein ganz junger Rabe hat auch leicht bläuliche Augen, dies ist auf den Aufnahmen kaum zu erkennen. Sein erstes Federkleid ist leicht bräunlich und etwas stumpf.